Geschichte in der Frankfurter "Evangelischen Sonntags-Zeitung

Weihnachtsausgabe 2012

Nach einer Ausschreibung zur schönsten Weihnachtsgeschichte 2012, wählte man meine Geschichte und druckte sie in der "Evangelischen Sonntags-Zeitung" (Weihnachtsausgabe) ab.

 

Ausschnitt evangelische Sonntagszeitung
Ausschnitt evangelische Sonntagszeitung

Es sind noch genau vier Tage bis Weihnachten!

In der Menschenwelt geht es drunter und drüber. Alle kaufen und basteln für das ganz große Fest.

Die Straßen in der Stadt sind übervoll und unter den Christbäumen in den einzelnen Wohnungen stapeln sich schon die Geschenke.

Bei uns im Himmel ist noch völlige Ruhe, da wir Engel wissen, dass jedes Jahr dieses Ereignis auf uns zukommt. Doch hier unten in der Menschenwelt haben wir Engel viel zu erledigen, denn die Menschen sind so sehr im Stress, dass sie unachtsam über die Straße gehen, sich zu viele Tüten und Pakete aufladen und damit die Treppe hinunterstürzen, und sich gegenseitig anfeinden, weil sie sich zu viel vornehmen, um eine ruhige Zeit zu haben.

Wir Engel haben in dieser Zeit eine echte Herausforderung in Sachen Schutz zu erledigen.

Aber es gibt auch ruhige Passanten. Menschen, die mit einer fast unmenschlichen Gelassenheit lange und ausdauernd nach einem passenden Geschenk suchen können.

Wir Engel sind für die Menschen meistens unsichtbare Wesen und doch gibt es Personen, die uns sehen, mit uns sprechen können.

 

Ich war gestern sehr spät unterwegs und die Geschäfte hatten noch geöffnet. Wie schon vor einer Woche, drückten sich viele Menschen in den Warenhäusern von Tisch zu Tisch und suchten noch immer die besten Geschenke, als ein Junge zu mir aufblickte.

„Hallo.“

„Hallo Johannes.“

„Meine Mama sucht schon seit einer Stunde eine passende Krawatte für Papas Hemd. Ich habe Durst und ich habe auch keine Lust mehr hier zu warten.“

„Hast du dir auch etwas gewünscht?“, fragte ich ihn freundlich.

Johannes aber schüttelte den Kopf.

„Warum nicht? Das ganze Kaufhaus ist voll von Geschenken.“

„Ich habe mir schon so oft etwas gewünscht und es ist nicht in Erfüllung gegangen. Warum sollte ich mir dann jetzt etwas wünschen?“

„Wie wäre es mit einem neuen Puzzel? Die liebst du doch so sehr, oder ein tolles Buch. Es gibt ein neues, echt spannendes Abenteuer.“

Doch ich wusste was Johannes größter Wunsch war und den konnte ihm niemand erfüllen.

„Ich mag das alles nicht mehr“, seufzte der Junge und fiel in sich zusammen.

„Aber Johannes, du bist ein so kluger Junge. Du darfst dich nicht hängen lassen. Deine Leidenschaft für Bücher und Geschichten ist so groß. Du darfst dies nicht einfach wegwerfen.“

Ich musste ihm Hoffnung geben, ihn stützen, obwohl ich wusste, dass Johannes Wunsch nie Wirklichkeit werden konnte.

„Weißt du, ich bin 13 Jahre alt und sitze schon seit über 8 Jahren in diesem verdammtem Rollstuhl. Ich will endlich wieder laufen und rennen können!“

In diesem Augenblick schien die Zeit im Kaufhaus stehen zu bleiben und alles um uns herum wurde still. Nur Johannes Atem war zu vernehmen.

„Johannes?“

„Hmm?“

„Ich würde dir gerne diesen Wunsch erfüllen, doch Gott hat etwas anderes mit dir vor.“

Der Junge starrte mich mit großen, aber enttäuschten Augen an.

„Ich werde nie wieder gehen können?“, fragte er voller Hoffnungslosigkeit.

Ich schüttete sanft den Kopf und Johannes schaute auf seine Beine und weinte.

Dann kniete mich vor ihn und strich über seine tauben Schenkel.

„Du bist ein großartiger Geschichtenerzähler. Deine Gabe wird die ganze Welt begeistern. Gib dich nicht auf. Es hat alles einen Sinn, auch wenn es dir jetzt noch nicht bewusst ist. Irgendwann wirst du es verstehen.“

Johannes schlug mit seinen Fäusten auf seine Beine. „Wird man einem Krüppel zuhören?“

Nun erhob ich mich und zeigte Johannes meinen ganzen Glanz, erhellte sein Bewusstsein damit und sagte:

„Ja, man wird einem großartigem Menschen Gehör schenken. Deine Geschichten werden in viele Sprachen übersetzt und überall gelesen werden, weil du den anderen Menschen mit einer Behinderung Mut machen wirst...auf dass sie sich nicht aufgeben dürfen. Du wirst es sein, der mit seinen Geschichten die Welt verzaubern kann, der die Menschen wieder glauben lässt.“

Johannes wischte seine Tränen ab und rief seine Mutter. Die kam sogleich zu ihm.

„Johannes, Johannes was ist denn geschehen?“

„Ich wünsche mir doch etwas zu Weihnachten.“ Seine Hände glitten über seine Beine und er zupfte an dem Stoff seiner Hose.

Die Mutter war sehr erstaunt, denn so kannte sie ihren Sohn gar nicht.

„Ich wünsche mir viel Papier und noch mehr Stifte. Ja, das wünsche ich mir.“

Und sein Blick fiel zu mir herüber und Johannes lächelte zufrieden.

 

© Urheberrechte liegen bei Stefanie Bernecker